Drei Fragen an Veronika Gräwe

Portraitserie Berliner Aktivist*innen, Teil 15

Kurzvorstellung
Ich bin Veronika Gräwe. Ehrenamtlich und aktivistisch bin ich bei #OutInChurch aktiv und war von 2021 bis 2022 Co-Sprecherin des Katholischen LSBT+ Komitees. Ich bin eine der Mitherausgeberinnen des Sammelbandes „#OutInChurch. Für eine Kirche ohne Angst“, in dem Personen aus dem Netzwerk von #OutInChurch ihr Erfahrungswissen als katholische LSBTIQ Personen teilen und theologische Perspektiven auf Queerness&Kirche beleuchtet werden. Aktuell promoviere ich an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Pastoralpsychologie. Im Rahmen meines Dissertationsprojektes beschäftige ich mich mit der Frage, wie junge christliche oder christlich sozialisierte LSBTIQ* Personen Religion erleben.

Was bedeutet lesbische* Sichtbarkeit für dich?
Sichtbarkeit ist enorm wichtig. Wichtig ist auch, dass sichtbar wird, wie vielfältig lesbische* Leben sind. Ich selbst würde mich als nonbinary lesbian bezeichnen. Lesbische* Sichtbarkeit sollte auch Lesbischsein* jenseits einer binären cisnormativen Geschlechterordnung abbilden. Auch weitere Formen lesbischen* Lebens sollten sichtbar sein, etwa Aspekte von Klasse. Ich selbst bin Careleaverin und engagiere mich für die Rechte von Careleaverinnen. Careleaverinnen sind Personen, die ihre Kindheit und Jugend in Wohngruppen, Heimen oder Pflegefamilien verbracht haben. Die Geschichten lesbischer Careleaverinnen und queerer Careleaverinnen sind noch kaum erzählt. Auch Lesben* mit Behinderung sind auch innerhalb der Community viel zu oft noch unsichtbar. Sichtbar zu werden macht aber auch vulnerabel. Wenn frau* sehr persönliche und vielleicht auch schmerzhafte Aspekte ihrer Identität und Biografie teilt, wird dem nicht immer wertschätzend begegnet. Gerade wenn Personen mit ihrem sichtbar werden an bestimmten Normen kratzen und intersektionale Marginalisierungserfahrungen im Spiel sind, kann Lesben* Ablehnung, Stigmatisierung oder sogar Hass begegnen. Damit Sichtbarkeit gelingt, braucht es auch den Support aus der Community.

Ich finde sichtbar zu sein kann auch ein christlicher Akt sein: Wenn ich sichtbar werde, dann auch für andere. Damit andere nach mir es hoffentlich leichter haben. Bei #OutInChurch haben wir gesagt, wir wagen das Coming-out auch in Solidarität mit allen, für die ein Coming-out noch nicht möglich ist.

Welche Idee würdest du gerne verwirklichen?
Breite Bündnisse für eine vielfältige Gesellschaft schmieden, in denen sich unterschiedliche von Marginalisierung betroffene Communities gegenseitig supporten und mitdenken. In der Marginalisierung und Diskriminierung aufgrund von race, Klasse, Behinderung oder auch Religion gemeinsam und Community übergreifend bearbeitet werden.

Deine Wünsche an die Berliner LSBTIQ*-Community…
Ich wünsche mir eine Community, die mehr Intersektionalität wagt und auch kritisch reflektiert, wo sie selbst vielleicht Ableismus oder Klassismus mitträgt, oder antimuslimischen Rassismus und Antisemitismus reproduziert. Da geht es dann auch um Repräsentation und Diversität zum Beispiel in Gremien.

Mit Blick auf Religion wünsche ich mir einen achtsamen Umgang miteinander. Wir sollten achtsam mit den Verletzungsgeschichten umgehen, die Queers in religiösen Kontexten und viel zu oft auch in ihren religiösen Familien zugefügt wurden. Gleichzeitig sollten wir auch achtsam dafür sein, dass Religion für Queers auch eine wichtige Ressource und Teil ihrer Identität sein kann. Da wünsche ich mir, dass Stimmen, die religiösen Queers einen kranken Selbsthass unterstellen, weil sie eine Religion praktizieren, der Vergangenheit angehören.