Mein Name ist Debora Antmann und ich bin politische Bildnerin, Kolumnistin beim Tagesspiegel, freie Autorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Jüdischen Museum Berlin. Oder auch: Aktivistin, wütende Jüdin, semi-aktive Körperkünstlerin und verhinderte Superheldin. Je nach Anlass Seit über 10 Jahren arbeitet ich zu jüdischer-lesbischer Widerstands- und Intersektionalitätsgeschichte, jüdischen Selbstbestimmungs- und Communityprozessen, Intersektionalität, Heteronormativität und Behinderung. In unzähligen Sammelbänden findet man Beiträge von A wie Antisemitismus bis Z wie Zusammenhalt von mir – alles immer aus dezidiert jüdischer und lesbischer Perspektive. In verschiedenen Formaten inszeniere ich jüdisch-queere Interventionen zur visuellen Selbstbestimmung und leite seit 2020 den jüdischen FLINTA Austausch- und Empowerment-Raum „Tsuris & Tseschmetter“.
Was bedeutet die Sichtbarkeit von queeren FLINTA* Personen die von Rassismus/Antisemitismus betroffen sind, für dich?
Ich habe meine Arbeit aus dem Gefühl heraus begonnen als jüdische Lesbe und jüdische Feministin sehr einsam zu sein. Die Frage „gibt es eigentlich andere wie mich, mit meinen Fragen und meinen Bedürfnissen?“ ist aus dem Eindruck enormer Isolation entstanden. Als ich dann anfing über Themen rund um mein lesbisches, mein feministisches Jüdisch-Sein zu schreiben und zu sprechen, kamen sehr schnell Menschen auf mich zu, denen es genauso ging wie mir. Die genauso wie ich das Gefühl hatten, dass es scheinbar niemanden gibt, der ihre Lebensrealität teilt. Natürlich wussten wir eigentlich alle, dass wir nicht die einzigen in diesem Land sein konnten, die in einer Gleichzeitigkeit von Queerness, Feminismus und Jüdisch-Sein existieren. Aber keine Person zu kennen oder zu sehen, die die gleichen Erfahrungen macht, bedeutete in unserer Realität eben dann doch irgendwie die einzige zu sein. Deswegen ist es mir in meiner Arbeit so wichtig für andere queere und feministische Jüd*innen erfahrbar zu machen, dass wir zwar wenige, aber deswegen nicht allein sind. Jüdisch-Sein an sich ist für viele in Deutschland bereits eine sehr einsame Erfahrung, weil die Anzahl an Jüd*innen einfach so gering ist. Wenn dann noch Intersektionen hinzukommen, wie z.B. als Jüd*in queer oder behindert zu sein, dann fühlt es sich oft so an, als sei man die Nadel im gesellschaftlichen Heuhaufen. Auf der verzweifelten Suche nach einer anderen Nadel, die nachvollziehen kann, was es bedeutet „jüdisch und“ zu sein. Bis heute schlägt mein Herz jedes Mal höher, wenn ich die Arbeit anderer queerer und feministischer Jüd*innen sehe. Weil es eine Erinnerung daran ist, dass wir eben nicht allein sind, dass unsere Erfahrungen durchaus kollektiv sind, auch wenn wir allzu oft die einzigen in unserer greifbaren Umgebung sind.
Welche Idee würdest du gerne verwirklichen?
Ich möchte Räume schaffen, in denen wir als Jüd*innen neue Bilder von uns erschaffen und festigen können. In meinem Projekt „Feminist Jewligans“ (das aufgrund fehlender Förderung nur sehr schleppend vorankommt) geht es zum Beispiel darum, dass jüdischer Aktivismus jenseits von Podiumsdiskussionen und Gesprächsrunden existiert. Es zeigt, wie junge jüdische Akteur*innen und gerade junge jüdische Aktivist*innen sich selbst sehen und bringt neue Bilder jüdischer Präsenz in die öffentliche Wahrnehmung. Es soll nachhaltig mit dem Bild brechen, dass Jüd*innen nicht wehrhaft sein können. Das Projekt spielt mit der Idee, was passieren würde, wenn Jüd*innen plötzlich nicht mehr versöhnlich wären. Wenn unsere vermeintlich einzige Waffe nicht mehr nur unser Stereotyp scharfer Verstand wäre. Das Fotoprojekt, das Jüd*innen in ganz Deutschland in Einzelaufnahmen oder Gruppenfotos portraitiert, schafft die Illusion einer Dokumentation über die „Feminist Jewligans“ – eine jüdisch-feministische Gang, die den deutschen Frieden bedroht. Denn die eingeschränkten Rollenbilder, in denen Jüd*innen in Deutschland als Jüd*innen existieren dürfen, stehen gewollt oder ungewollt häufig im Mittelpunkt der Arbeit junger jüdischer und queerer Aktivist*innen. Das Projekt soll diesen Kanon um eine Möglichkeit erweitern und gleichzeitig die Reduzierung jüdischer Schlagfertigkeit auf den Dialog infrage stellen. Es soll neue Bilder von jüdischer Wehrhaftigkeit schaffen und dabei einerseits empowern und andererseits den nicht-jüdischen Blick von seiner gewohnten Perzeption des Jüdischen ablenken und ihm die wütende, schroffe, harte, gefährliche, unversöhnliche Wahrheit jüdischer Realitäten und jüdisch-aktivistischer Selbstwahrnehmung unübersehbar aufzeigen.
Deine Wünsche an die Berliner LSBTIQ*-Community…
Ich würde mir wünschen, dass wir als queere Community den Diskurs um Geschlecht und Queerness aufbrechen. Denn jüdische Geschlechtlichkeit und jüdisches Begehren werden generell nur im Rahmen christlicher Zweigeschlechtlichkeit wahrgenommen. Das Judentum kennt jedoch mehr als zwei Geschlechter und fusst auf einem fluideren Konzept von Geschlechtlichkeit. Aus queerer Perspektive wäre es also wichtig, dass wir anfangen zu fragen, was wir denn dekonstruieren, wenn wir z.B. Zweigeschlechtlichkeit in Frage stellen? Und wie wir andere, zum Teil ausgelöschte, Konzepte von Geschlechtlichkeit mitdenken können, statt in unserer Auseinandersetzung christliche Geschlechterlogiken zu reproduzieren. Denn nur wenn wir als queere Community anerkennen, in welchem Kontext unser Bruch mit Hetero- und Cis-Normativität stattfindet, können wir begreifen welche Kosmen anderer Geschlechterwelten – zum Beispiel jüdische – zerstört und ausgelöscht wurden und was das für jene bedeutet, die in Kulturtraditionen verwurzelt sind, deren Geschlechterverständnis und Begehrensdimensionen vernichtet wurden.